LBL 2018 - der (Mann mit dem) Hammer! |
Veröffentlicht von Christian (christian evers) am 22.04.2018 |
oder ein Frühjahrsklassiker mit Tour de France-Wetter !
Michael Pauer hatte schon früher darüber gesprochen, er wolle unbedingt mal einen der berühmten Frühjahrsklassiker mitfahren. Im Dezember 2017 wurde es dann besiegelt: wir fahren nach Lüttich. Dabei waren zunächst Michael Pauer, Axel Kalkowski und Christian Evers. Später bekam auch Axel Mehrtens noch Lust sich „la Doyenne“ (seit 1892, das älteste noch stattfindende Radrennen) als Teilnehmer zu gönnen, allerdings „nur“ auf der 154km-Strecke. Der Radsportklassiker gilt als eines der härtesten Radrennen und zählt mit seinen vielen kurzen und steilen Anstiegen zu den fünf Radsport-Monumenten.
Einer der berühmtesten ist der Cote de Saint Roch, da er auf vielen Fotos für das Rennen herhalten muss. Über 20% steil und 1200 Meter lang, wird dieser Anstieg schon am Anfang für die Hobbyradsportler zu einer echten Herausforderung, ganz zu schweigen von den restlichen 10 "Cotes", den vielen nicht erwähnten kleineren, nur unwesentlich flacheren „Hügeln“ sowie der raschen Abfolge der Cotes im Finale, wo es eigentlich nur noch steil bergauf oder bergab geht. 4400 Höhenmeter auf 274 Kilometer verteilt sind eine echte Hausnummer. Dazu kommt in der Regel (wie in 2017) echtes Aprilwetter, was die Bedingungen nochmals wesentlich verschärft.
In der Vorbereitung wurde es schon anspruchsvoll:
Der Winter und das nun deutlich umfangreicher ausfallende Vorbereitungstraining fielen in diesem Jahr sehr kalt aus, so dass die vier Mühe hatten die erforderlichen Trainingskilometer auf dem Rad zusammen zu bekommen. Viele Einheiten wurden ins Studio verlegt, aber die echten Radkilometer sind nicht zu ersetzen.
So kamen im März noch ein paar Trainingseinheiten im nahegelegenen Teutoburger Wald dazu, die einen Vorgeschmack auf die 11 „Cotes“ gaben. ca. 1000 Kilometer hatte jeder mehr auf dem Tacho als in anderen Jahren, Überstunden wurden abgebaut, die Zeit für Familie und Freunde wurde knapp und der Winter wollte und wollte kein Ende nehmen. Trainingseinheiten bei 0°-3° waren am Wochenende fast die Regel. Besser wurde es erst im März, als die ersten Trainingseinheiten im Teuto kamen. Es begann Spaß zu machen, das Wetter wurde besser und die Touren im Teutoburger Wald waren (z.T. auch mit Schneeeinlage) ein Vergnügen.
Endlich in Lüttich angekommen berichtet Axel Mehrtens von dem Rennen:
Das letztjährige Wetter (Regen bei 2 Grad) hatten wir leider nicht. Dieses Jahr mussten wir uns mit strahlenden Himmel und 28 Grad zufrieden geben.
Die Anreise am Freitag klappte problemlos, so dass wir uns Nachmittags am Expogelände in Lüttich anmelden konnten. Anschließend haben wir unser schönes Appartement in Herve bezogen und eine kleine „Anschwitzrunde“ gedreht, bevor es zum Carboloading beim Italiener ging.
Am Samstag um 03:30 Uhr klingelten die ersten Wecker. Kurzes Frühstück und auf zum Start. Um 06:30 sollte es dort losgehen. Dieser erfolgte in belgischer Lockerheit. Axel K. hat uns in die erste Startreihe beordert, der dann durch einen Parkplatzordner freigegeben wurde. Axel M. ging sofort auf den ersten 500 Meter in Führung. Es folgte eine etwas wilde Fahrt durch die morgendlichen Straßen von Brüssel. Bis zur ersten Pausenstation nach 43 km sollten es keine stärkeren Steigungen geben. Schon klar, alles unter 10 % ist nicht erwähnenswert. Dort fanden wir 4 nochmal kurz zusammen. Christian, Michael und Axel K. fuhren auf der 274 km Runde weiter, während Axel M. auf die 154 km Strecke abbog. Ab da begannen die Cotes bzw. das Leiden. Es geht auf der Strecke eigentlich immer nur auf und ab, in der Spitze bis 22 %. Der Straßenzustand war zum Teil sehr dürftig und es war manchmal schwierig das Rad um die Löcher herum zu kurven.
Von der langen Strecke berichtet Christian Evers:
Nachdem wir uns von Axel M. getrennt hatten, erwartete uns vor Bastogne noch der Klassiker, die Cote de Saint Roch: der Hammer! Wir kamen um die Ecke und die Mauer steht vor einem. Die ersten Meter der 20%-Steigung nahm ich noch mit Schwung und Elan. Hinter uns kam noch ein Auto im 1.Gang den Berg hinauf, das uns zur Seite hupte, aber bis zum sichtbaren Ende war es absehbar. Dann aber kam ich um die leichte Kurve und sah, dass sich die Steigung noch mindestens doppelt so lang weiter zog und zwar fast genauso steil wie im ersten Teil. Die Kraft wurde schon bei dem Anblick weniger, der erste Gedanke war: "Ach du Scheiße, steige ich ab ? ... nein!" Ich begann zu arbeiten und nahm den Gipfel fest ins Visier. Nur ganz langsam kam ich voran und jeder Meter kostete mehr Körner. Der Anstieg zog sich auf der Kuppe dann auch noch ellenlang mit etwas geringerer Steigung hin. Danach beherrschten erstmal Zweifel, ob wir wirklich genug trainiert hatten, meine Gedanken. Die Beine wollten schon „zumachen“ und ich nahm Druck raus, um eine möglichst lange Erholungsphase zu haben. Erst zwei von ELF !!! hatten wir gerade mal geschafft und ich war mir nicht mehr sicher, ob wir am Ziel ankommen würden.
Bei der nächsten Verpflegungsstation traf ich dann Axel K. wieder und die Stimmung stieg bei Sonne und gefühlt tausenden* von Mitfahrern, die alle dort angekommen waren. „Wenn die das alle schaffen, dann sind wir auch dabei, sagten wir uns und von da an, zählten wir nur noch von Station zu Station. So ging es. Drei Cotes bis zur Station ..., vier Cotes bis zur Station ... . Aber was für welche: Wieder so ein Hammerteil und danach gleich der längste mit über 4km Länge und als viertes dann der Scharfrichter des Rennens, der berühmte Cote de la Redoute. Hier standen schon viele Wohnmobile der Zuschauer für das kommende Profirennen am Sonntag und es war – bei aller Quälerei – ein wenig Endorphin mit im Spiel, als ich mir auf dem schmalen, eingezäunten Sträßchen Meter für Meter eroberte und mit vorstellte, wie dort morgen die vielen Zuschauer die Fahrer anfeuern. Obwohl – beim Schreiben wird mir klar: mit jedem Satz wird es schöner gefärbt. Als ich mich dort am Samstag hoch arbeitete, habe ich versucht gar nicht mehr zu denken und nur noch vor mir auf den Asphalt zu gucken, um nicht zu sehen, wie weit es noch ist. Im Nachhinein wird es mit jeder Erzählung phantastischer.
Michael Pauer haben wir an allen Verpflegungsstationen wieder getroffen. Er war etwas langsamer am Berg, aber guter Dinge. Leider ist ihm 20 km vor dem Ziel seine Kette gerissen. Vergebliche Versuche telefonisch Kontakt aufzunehmen machten uns etwas Sorgen, aber der freundliche Mechaniker vom Mavic-Servicewagen war schnell zur Stelle und konnte den Schaden beheben. Perfekt: wie bei den Profis :-).
Bei der letzten Station war die Luft dann eigentlich raus. Ich hätte mich auch abholen lassen. Inzwischen standen wir in den Pausen nicht mehr, sondern saßen am Straßenrand. Neben uns übergab sich jemand, weil der Magen die ganze süße Kalorienreiche Sportlernahrung nicht mehr aufnehmen wollte. Auf dem Platz wankten und humpelten müde Gestalten von den Fahrrädern zu den großen Vier-Mann-Pinkeleimern und wir wollten eigentlich gar nicht mehr wieder aufstehen. Bis dann Axel K. energisch das Startsignal gab: „So Männer: FINALE !“ Es waren ja nur noch zwei Cotes übrig geblieben. Wie müde muss das ausgesehen haben, als wir uns mit jedem Tritt langsamer werdend die abgesperrten Anstiege hinauf kämpften. Die letzten beiden waren dann aber doch leichter als erwartet und es ging in zügigem Tempo durch die Stadt bis zur 1km langen und auch nochmal 6% steilen Zielgerade. Warum hatte das keiner gesagt? Es nahm kein Ende. Und dann – die Profis durften hier schon die Arme in die Luft reißen, sollten wir nochmal 8km zu unserem Start zurück fahren. Zittern, wäre die bessere Beschreibung. So erschöpft wie wir waren, war sogar die konzentrierte Abfahrt über das kilometerlange grobe Pflaster eine letzte Anstrengung.
Im Ziel waren dann alle sehr, sehr happy. Komisch wie schnell man die Leiden vergisst und nur noch begeistert ist. Wir hatten so ein Glück mit dem Wetter gehabt, fast alles hat gut geklappt, die Herausforderung war gemeistert !!! Und das auch noch in der unerwartet guten Nettofahrzeit von 10:20h, also mit einem fast 27er Schnitt. Den Abend haben wir dann mit Pizza und Rotwein ausklingen lassen. Am Sonntag morgen konnten wir noch den Start der Profis sehen und machten uns dann auf den Heimweg nach Delmenhorst.
*Der Veranstalter meldete im Nachhinein, dass insgesamt 8000 Teilnehmer auf der Strecke waren, davon 2500, die sich auf die lange Distanz getraut haben. Was bleibt sind die kleinen Trophäen und die guten Erinnerungen.
Christian Evers
RV Urania Delmenhorst
Zuletzt geändert am: 24.04.2018 um 05:41
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