Vätternrundan 2022 - auch eine Regenschlacht |
Veröffentlicht von Christian (christian evers) am 20.06.2022 |
Vätternrundan 2022 - auch eine Regenschlacht
In diesem Jahr sollte es wieder stattfinden, die legendäre Umrundung des Vätternsee's, die seit 1966 jedes Jahr inzwischen fast 20.000 Teilnehmer anzieht. Und zwar regulär wie immer: eine Woche vor Midsommar, wenn die Schweden ihren Urlaub beginnen und die schwedischen Nächte am kürzesten sind. 2020 war die Vätternrundan Coronabedingt ausgefallen, im letzten Jahr in den September verlegt worden - aber das war nicht vergleichbar.
Christian Evers vom RV Urania Delmenhorst, war für seine 4.Teilnahme angemeldet und hatte sich bereits seit Monaten auf diesen persönlichen Höhepunkt seiner Radfahrsaison vorbereitet. Sich immer weiter steigernde Distanzen im Training, regelmäßige Teilnahme am Vereinstraining ohne Rücksicht auf den 'Schweinehund' und die obligatorische Langdistanzvorbereitung über die RTF in Vegesack und den Bremer Radmarathon. Die Teilnahme in Schweden wurde kombiniert mit dem Familienurlaub, so dass die weite Anreise in kleinere Abschnitte aufgeteilt werden konnte. Nach zwei Wochen entspanntem Schwedenurlaub’s kam also die Vätternrundan als Abschluss des Urlaubs genau richtig. Die Wettervorhersage wurde Tag für Tag besser, sollte sich aber als trügerisch herausstellen.
Evers hatte sich, wie beim letzten Mal 2019, zusammen mit seinem inzwischen 87jährigen Onkel, weiteren Familienmitgliedern und einigen bekannten Radsportfreunden angemeldet. Im Vorfeld kam es leider zu mehreren gesundheitsbedingten Ausfällen, so dass leider auch das ursprüngliche Zentrum der Gruppe - der Onkel mit seiner 17. Teilnahme - sowie einige andere Teilnehmer absagen mussten. Die Gruppe schmolz von ehemals 12 auf 6 Fahrer zusammen, die sich aber unverdrossen auf den Weg nach Schweden machten.
Am Vortag der Veranstaltung sah es ganz so aus, als ob das Wetter sich stabilisieren würde. Die geplante Startzeit war 22:38. Der angekündigte Regen zu Beginn sollte sich mit etwas Nieselregen und vielleicht ein oder zwei Schauern in Grenzen halten. Die Temperaturen sollten nachts nur bis auf 13 Grad fallen. Dementsprechend war die Gruppe gut gelaunt in Motala an den Start gegangen, hatte auf die Verlegung der Startzeit in die Morgenstunden verzichtet und voller Vorfreude die erwartete Fahrt durch die schwedische Nacht begonnen. Das Vorschlafen am Nachmittag war schwierig, wurde aber versucht. Regenjacken waren eingepackt, die Räder vielfach durchgecheckt, Startnummern angebracht und durch Packungsweisen Verzehr von Nudeln waren auch die Kohlehydratspeicher gut aufgefüllt.
Beim Start war es trocken, allerdings etwas irritierend leer. Die sonst mit ca. 50 Personen gefüllten Startblöcke waren nur dürftig gefüllt, im Startblock mit der 6er-Gruppe standen nur wenige andere Starter. Aber es gab kein Zurück mehr, der Start erfolgte und bereits hier löste sich der erste Plan in Luft auf.
Eigentlich war besprochen sich in der großen Startergruppe zurückzuhalten, im Windschatten zu bleiben und Kräfte zu sparen für die lange Fahrt. Da aber in Ermangelung anderer Teilnehmer gar kein Windschatten da war, waren die 6 gezwungen von Beginn an im Wind zu fahren, ein eigenes Tempo zu finden und sich die Kräfte neu einzuteilen.
Kurz darauf begann es zu tröpfeln, was alle wenig beunruhigte. Evers war ohne Regenjacke gestartet, hatte sie aber in der Tasche und konnte während der Fahrt nachbessern. Ein anderer Teilnehmer (H.) traute sich nicht während der Fahrt und fuhr auch im zunehmenden Regen weiter ohne Regenjacke, was eigentlich genau das Gegenteil von dem war, was er sich vorgenommen hatte. Dementsprechend durchnässt war er nach einer Stunde Fahrzeit, in der der Regen nicht nachließ und zu einem andauernden Begleiter geworden war.
In dieser Situation war es eigentlich von Vorteil, dass so wenig Fahrer da waren. Das vom vorausfahrenden Radfahrer aufspritzende Wasser flog ja geradewegs in das eigene Gesicht und es erforderte erhöhtes Fahrkönnen, so wenig wie möglich 'Dusche' von vorn zu bekommen, gleichzeitig aber bei starkem Gegenwind den Windschatten des Vordermanns auszunutzen. Die Sicht wurde durch die Schutzbrillen immer schlechter, so dass sie abgenommen wurden und ein paar gefährlich enge Situationen machten deutlich, wie schwierig es war, heil durchzukommen.
Nach 2 Stunden kam das erste Depot und H. konnte sich endlich die Regenjacke überziehen. Durchnässt waren sowieso alle, aber durch die Regenjacken war es weniger kalt, da sie den Wind abhielten. Evers hatte sich sogar mit einem alten Radsportlertrick mit Plastiktüten über den Füssen gegen die Nässe in den Schuhe geschützt, aber vergeblich. Die Nässe zog von überall in die Klamotten und kroch bis in den letzten Winkel. Im Depot waren dann doch viele Teilnehmer. Einige hundert standen zitternd an der Getränkeausgabe für den warmen Tee oder Kaffee und man sah schon einige nach Helfern suchen, wo das Wärmezelt sei. Auch S.- in diesem Jahr der jüngste der Gruppe und zum ersten Mal dabei - stand kreidebleich, zitternd und völlig durchgefroren vor den anderen, als er erklärte, dass er die Tour abbreche und sich per Shuttel-Service zurück bringen ließe. Er hatte das Wetter falsch eingeschätzt und sich nicht warm genug angezogen.
Was nicht heißt, dass den anderen warm war ! 13 Grad sind völlig durchnässt sehr wenig. Ebenfalls frierend, wollten die verbleibenden 5 also so schnell wie möglich wieder auf's Rad, um sich über die Bewegung warm zu halten. Der heftige Gegenwind erschwerte die Situation zusätzlich und kostete Kraft. Aber nach ein paar Minuten waren die Körper wieder auf Temperatur gebracht und die Gruppe setzte ihre Fahrt fort, in der Hoffnung, dass der Regen aufhört. Leider wurde daraus (noch) nichts. Die Regenwolken schienen sich über dem See festgesetzt zu haben und die gesamte Strecke bis zur Südspitze in Jönköping wurde zu einer regelrechten Regenschlacht in der dunkelsten Zeit der schwedischen Nacht.
Ausgestattet mit starken Scheinwerfern konnten die fünf sich gut orientieren und die inzwischen eingespielte Gruppe wechselte sich regelmäßig vorne im Wind ab. Von Beginn an war die Fahrt ungewöhnlich einsam gewesen, nach dem Depot wurden andere Fahrer noch seltener gesichtet. Üblicherweise zieht sich ein rotes Band von Rücklichtern am See entlang und man sieht tausende, die oft in großen Gruppen durch die Nacht rollen. Die auf fünf geschrumpfte Gruppe konnte aber nur ab und zu ein paar verlorene Fahrer überholen und erst beim nächsten Depot in Jönköping stellte sich heraus, dass es doch viele hundert Teilnehmer waren, die durchgefroren in der gut geheizten Eissporthalle die Chance zum Aufwärmen nutzen.
Und, was viel wichtiger war: der Regen hatte aufgehört! Kurz vor Jönköping klarte der Himmel auf und man konnte endlich den Blick über den See schweifen lassen und die Lichter der am Südufer malerisch liegenden Stadt über die ganze Breite sehen. Durchnässt und kalt wurde die Pause genutzt, um eine erste warme Mahlzeit zu sich zu nehmen, die nassen Sachen mal auszuwringen und sich neu zu sortieren. Die Stimmung stieg, weil zu erwarten war, dass die Funktionskleidung durch die Körperwärme trocknet und da es um 3 Uhr bereits hell wurde, dann auch der neue Tag mit dem starken Wind - jetzt als Rückenwind! - begann. Die folgenden 150 Kilometer verliefen also in guter Stimmung mit kurzen Stopps, viel Schiebewind von hinten für die 5er-Gruppe, die immer noch nicht überholt worden war. Auch diese Tatsache führte zu einem Motivationsschub, da bei den früheren Teilnahmen oft schnellere Fahrergruppen vorbei zogen, was dieses Mal fast bis zum Schluss ausbleiben sollte. Vermutlich hatten sehr viele Fahrer die Startzeit auf den frühen Morgen, nach dem Regen gelegt und waren deshalb sehr viel später unterwegs.
Als sich die Gruppe der Nordspitze des Sees näherte wurde es wieder spannend, da im letzten Jahr eine Neuerung eingeführt worden war: Die Strecke führte nun, statt über die Hammarsundbrücke, in einem etwas größeren Bogen über Askersund und durch ein schönes Waldgebiet, somit erstmalig auch um den kompletten See. Die Distanz war um fast 17km länger und die Höhenmeter ebenfalls mehr geworden, was sich besonders für G. als Problem herausstellen sollte.
G. war bereits früh - seit den hügeligen Passagen nach Jönköping - an den Steigungen etwas zurückgefallen, hatte sich aber immer und immer wieder an die Gruppe herangekämpft. Das Essen lag schwerer im Magen als sonst, und sein ein wenig höheres Gewicht machte sich an den flachen, aber zahlreichen Hügeln bemerkbar. Am nördlichsten Depot in Askersund wurde dann deutlich, dass er es nicht in dem bisher angeschlagenen Tempo bis zum Schluss durchhalten würde. Als sich auf den folgenden Kilometern auch noch herausstellte, dass die neue Strecke nicht nur schön, sondern auch noch mit reichlich Höhenmetern ausgestattet war, kam G. nur noch mit großer Anstrengung auf das Hochplateau des Vättern-Hinterlandes. Die Gruppe fiel auseinander, O. setzte an zum Schlussspurt, um weiterhin von niemandem überholt zu werden (was ihm auch gelang), H. rettete sich bei der endlich herauskommenden, wärmenden Sonne im eigenen Tempo ins Ziel und G. wurde von Evers und A. auf den letzten Kilometern praktisch ins Ziel gezogen, wo er - gemeinsam mit den anderen vier - auf der Wiese hinter dem Zielbereich erst mal eine ausgiebige Erholungspause benötigte und erschöpft zu Boden ging.
Evers, G. und A. schlossen als letzte Finisher der Gruppe die 317km-Runde in einer Netto-Fahrzeit von 10:56 Std. mit einem gefahrenen Schnitt von fast 29km/h mit einem - bei den beschriebenen Bedingungen - sehr guten Ergebnis ab. Insgesamt waren die 6 Fahrer über 14 Stunden unterwegs und die für Vormittags versprochene Sonne kam erst kurz vor dem Ziel mit der guten Laune und der Freude über das Erreichen des Ziels wieder hervor.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es die eine ausgesprochen schwere Umrundung des Vättensees für alle Beteiligte war, immer noch unter Coronabedingungen mit weniger Teilnehmern als früher, unter harten Wetterbedingungen und mit einer neuen, schönen, aber auch unerwartet schweren Erweiterung der Strecke. Eine echte Herausforderung! Alle Teilnehmer waren am Ende glücklich, im Endeffekt doch gut durchgekommen zu sein. Und sie freuen sich auf die nächste Teilnahme bei hoffentlich besserem Wetter und wieder mehr Teilnehmern!
Christian Evers
RV Urania Delmenhorst
Nicht persönliche Fotos von Sportograf: Bestof-Gallery https://www.sportograf.com/de/event/7723
Zuletzt geändert am: 10.07.2022 um 01:06
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